
Wenn das Einschlafen zum Problem wird!
Kürzlich las ich eine Statistik der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Darin wurde festgehalten, dass 20 bis 30 % der deutschen Bevölkerung an Einschlafproblemen leiden und etwa 10 % davon behandlungsbedürftig seien. Das ist eine beachtliche Zahl und zeigt, wie weit verbreitet dieses Problem in unserer Gesellschaft ist.
In meiner Praxis begegne ich regelmäßig Menschen mit Einschlafschwierigkeiten. Diese Personen entwickeln bereits tagsüber beunruhigende Gedanken, die ihre Stimmung negativ beeinflussen und sich insgesamt auf das Wohlbefinden auswirken. Oft entsteht daraus eine Angst vor dem Einschlafen, die dazu führt, dass bestimmte Verhaltensweisen eingeschränkt werden – etwa indem man Aktivitäten vermeidet, die man eigentlich gerne tut, weil man glaubt, sie könnten das Einschlafen erschweren.
Psychologische Dynamiken
Die sich selbst erfüllende Prophezeiung ist ein faszinierendes psychologisches Phänomen, das im Alltag, in Schule und Beruf sowie in zwischenmenschlichen Beziehungen eine zentrale Rolle spielen kann – häufig, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Sie beschreibt die Tendenz, dass Erwartungen – ob positiv oder negativ – unser Verhalten und das Verhalten anderer so beeinflussen, dass sie sich letztlich erfüllen. Der US-amerikanische Soziologe Robert K. Merton prägte diesen Begriff in den 1940er-Jahren. Seither wurde das Konzept durch zahlreiche psychologische Studien untermauert.
Gerade bei Einschlafproblemen lässt sich dieses Phänomen besonders deutlich beobachten. Wiederholte negative Erfahrungen führen im Laufe der Zeit zur Bildung eines – meist unbewussten – Glaubenssatzes wie: „Ich habe große Schwierigkeiten beim Einschlafen.“ Diese Erwartung lenkt die Aufmerksamkeit und erzeugt innere Anspannung – insbesondere vor dem Zubettgehen. Der Gedanke „Hoffentlich schlafe ich heute ein“ ist zwar verständlich, bewirkt jedoch genau das Gegenteil: Er verstärkt die innere Unruhe und führt dazu, dass das Einschlafen noch schwerer fällt. So entsteht ein Teufelskreis.
Das Einschlafen – ein unwillkürlicher Prozess
Diese Überschrift bringt das Problem auf den Punkt: Einschlafen ist kein aktiver Vorgang – man kann es nicht erzwingen, sondern muss es geschehen lassen. Doch genau das gelingt Menschen mit Einschlafproblemen oft nicht. Sie versuchen, einzuschlafen – was menschlich absolut nachvollziehbar ist – und bleiben gerade dadurch wach. Häufig kommt der Schlaf erst, wenn man aus Erschöpfung aufgibt, bewusst einschlafen zu wollen – oder nach der Einnahme eines Schlafmittels, an dessen Wirkung man glaubt. In dem Moment, in dem man nichts mehr „machen“ muss, darf der Schlaf kommen.
Nossrat Peseschkian hat in seinem Buch Der Kaufmann und der Papagei viele eindrucksvolle orientalische Geschichten gesammelt – eine davon trägt den Titel Der Zauberer. In ihr wird unter anderem das Dilemma des Nicht-Einschlafen-Könnens anschaulich dargestellt.
Was hat das Nicht-Einschlafen-Können mit unserer Leistungsgesellschaft zu tun?
Ein wesentlicher Anteil der Leistungsgesellschaft am Phänomen liegt in der tief verankerten Überzeugung, dass man für alles etwas „leisten“ muss, um es zu erreichen. „Von nichts kommt nichts“ – diesen Satz hat wohl jeder schon einmal gehört. Doch genau dieser Gedanke setzt viele Menschen unter Druck – auch bei Vorgängen, die sich nicht „machen“ lassen.
Ein gutes Beispiel sind viele Athletinnen und Athleten, die im Wettkampf alles kontrollieren wollen und den Erfolg „erzwingen“ möchten. Das Ergebnis ähnelt oft dem beim Einschlafen: Der gewünschte Erfolg bleibt aus.

